Theorien zu Depressionen bei Autisten

Depressionen sind glücklicher Weise nichts mehr was ‚totgeschwiegen‘ wird. Man findet irgendwie irgendwo täglich irgendwelche Artikel, die sich mal gut, mal schlecht, mit dieser Erkrankung befassen.

Und das ist auch gut, denn das Verschweigen, das darüber hinweg gehen, das Negieren, das zwangsläufige Verdrehen und Verstecken, führt bei vielen zu wirklich drastischen Reaktionen bis hin zum Suizid.

Bei uns hier, stellt sich immer wieder die Frage nach dem ‚warum?‘:

Warum gibt es diese Vielzahl an depressiven Erkrankungen?

Warum gibt es diese Erkrankung überhaupt?

Was läuft da schief, dass jemand depressiv wird, der doch eigentlich ‚alles‘ hat?

Warum hilft keine Therapie, also wirklich restlos?

Diese Fragen stellt sich mein Mann immer wieder, der sich mit der Depression von seiner Frau (also mir) und auch unseres Sohnes konfrontiert sieht. Und ich denke, aufgrund der Nähe und der Gewohnheit: er übersieht einen ganz wichtigen Faktor, der die ganze Diskussion irgendwie obsolet macht, weil es eine Fülle an logischen Erklärungen gibt und für mich eigentlich nur eine wirklich tatsächlich wichtige Frage offen bleibt: ‚Warum ist unsere Gesellschaft so?‘, die aber nie abschließend beantwortet werden kann. Denke ich.

Mit meiner Freundin gab es gestern ein interessantes Gespräch, was ich im Kopf weitergeführt habe. Sie verwies mich auf einen Test, Fragebogen, der ihr von ihrem Therapeuten empfohlen worden ist: Beck-Depressions-Inventar. Der Test ist simpel und bestätigt, wenn man es schafft sich gegenüber ehrlich zu sein (selbst mir gegenüber beschönige ich manches, weil ich denke, wenn ich DAS jetzt zugebe, obwohl ich weiß, dass es so ist… machen wir es einfach ein bisschen netter), was ich schon lange weiß.

Das ‚Warum?‘, diese Frage zu beantworten, ist meiner Auffassung nach am leichtesten: wenn man sein Leben in einer Gesellschaft verbringt, die keinerlei Toleranz, keinerlei Verständnis hat, man alleine ist, aber doch so gerne dazu gehören möchte, irgendwie, in seinen eigenen Grenzen und Möglichkeiten, ist es meiner Auffassung nach eine logische Konsequenz, wenn man einigermaßen intelligent ist und einem dieses Manko bewusst ist, dass man depressiv wird. Verzweifelt. Sich zurück zieht.

Die Vielzahl begründet sich meiner Auffassung nach in der Vielzahl an menschlichen Individuen. Wenn einer dem anderen nicht gleicht, warum sollte dann jede Depression der anderen Gleichen? Da es so unendlich viele verschiedenen Facetten an Persönlichkeitsstrukturen gibt, ist die Ausprägung der Depression auch facettenreich.

Warum greifen die Therapien nicht immer? Tja…. ich denke, bei einem neurotypischen Menschen, ist die Sachlage schon nicht einfach, aber dieser Mensch hat nicht das ‚Gepäck‘ eines Autisten zu tragen. Dieser Mensch ist in der Lage sich in der Gesellschaft zurecht zu finden und zu agieren, ohne größere Probleme. Dieses ‚Sie müssen raus gehen, gehen Sie essen, in die Kneipe oder ins Kino!‘ ist bei einem Nichtautisten sicherlich ein guter Hinweis, bei einem Autisten erhöht diese Bemerkung aber das Chaos im Kopf.

Was läuft das schief…. wieder so eine schwammige Frage, aber dazu gibt es auch so einiges zu sagen: wie gesagt, die Bemerkung, dass man sich zwingen muss an der Gesellschaft ‚dran zu bleiben‘, heraus zu gehen, sich zu zwingen Kontakte zu pflegen, ist bei Nichtautisten ganz sicher der Weg Richtung Heilung, weil man so erkennen kann ‚es ist alles gar nicht so schlimm, wenn ich wieder Kontakte zulasse, dann lebe ich auf‘. Nur bei mir ist das eben nicht der Fall. Wenn ich mich zwinge raus zu gehen, Kontakte zu pflegen (äh, welche denn bitte?), oder in eine Kneipe auf ein Bier, oder in ein Kino (Himmel, bitte nicht), bedeutet es nicht, dass es mir zwangsläufig irgendwann besser geht, sondern, dass es mir abrupt schlechter geht, weil ich wieder einmal ein zuviel von zuviel ertragen muss.

Ich habe gestern um Zuges dieses Gesprächs nachgedacht. Ich sage immer, ich habe Depressionen seit ich ungefähr 20 gewesen bin. Nur ist mir gestern deutlich geworden (und das ist das Kreuz mit dem sehr gut ausgeprägten Gedächtnis), dass ich nicht nur in meiner Pubertät schon depressiv war (und auch einen Suizidversuch absolviert habe, was aber nicht aufgefallen ist, die Ärzte haben das geflissentlich übersehen), sondern auch schon in meiner Kindheit.

Das ist alles irgendwie nicht verwunderlich.

Denn: das Bewusstsein nie wirklich dazu zu gehören, immer anders zu sein, immer stetig steigende Probleme in den zwischenmenschlichen Interaktionen zu haben (ok, das wurde mir natürlich erst später richtig bewusst), immer diese Fragen im Kopf zu haben ‚warum machen die das?‘ wenn man Verhalten nicht versteht, oder ‚warum sagen die sowas?‘ wenn man keine Logik in Aussagen feststellen kann, oder ‚warum lachen die, wenn man deutlich weiß, dass sie sauer sind?’….

Konfusion im Quadrat – maximales Gedankenchaos – Frustration – Trauer

Für mich ist es eine logische Konsequenz, dass nahezu jeder Autist aufgrund seiner bisherigen Erfahrungen, aufgrund seines Bewusstseins, irgendwann deutlich depressiv wird. Und das schlimme, das wirklich absolut furchtbare ist, dass es keine Chance auf Heilung gibt.

Denn die Welt um einen herum ändert sich ja nicht rücksichtsvoll, wird tolerant, wird offen und klar.

Und wenn diese Person dann auch noch wagt, sich in irgendwelche Communities herein zu bewegen, in dem guten Glauben ‚ey, die sind doch alle wie ich, qua Definition’… ha! Dann wird es erst richtig schlimm. Denn in einem Forum nieder gemacht zu werden, egal ob Facebook, Twitter, ASS-Foren, ist so schlimm, dass einem die Luft wegbleiben kann.

Ich sehe das Problem in der Vielzahl an Persönlichkeiten. Niemand gleicht dem anderen. Es gibt Ähnlichkeiten. Aber: auch Autisten haben Persönlichkeiten, die den Nicht-Autisten ähneln, wie Psychosen, Narzissmus, Psychopathien, u.ä., nur eben mit den autistischen Befindlichkeitsproblemen. Nur weil man Autist ist, bedeutet das NICHT, dass  man immer das Opfer ist, Täter geht auch. Und nur weil man autistisch ist, bedeutet dies nicht, dass ererbte (und/oder unbewusst erworbene) Persönlichkeitsproblematiken nicht greifen!
Und dann wird es für den verunsicherten Menschen in einem dieser Foren wirklich eng. Denn eine Attacke in einem vermeintlich geschützten Raum wie einem Autisten -Forum als Beispiel, ist mit nichts zu vergleichen und im höchsten Maße destruktiv.

Oder der Neid…. ich habe es oft beobachtet (und auch persönlich erlebt), dass Neid bei Autisten ein Motor ist, den anderen nieder zu machen. Was ich nie verstehen werde. Außerdem ist Neid für mich unlogisch.

Was ich wirklich widerwärtig finde, und auch das kann man täglich auf den (a-)sozialen Plattformen beobachten, dass es Autisten gibt, die ihre Meinung, ihr Standing, als absolut absolut ansehen. Die die Auffassung vertreten ‚wenn Du nicht für mich bist, dann bist Du gegen mich‘, oder noch schlimmer ‚bist Du nicht für mich, dann gehörst Du zu denen, die ich bekämpfe!‘. Merken diese Personen überhaupt was sie da machen? Das ist Exklusion par Excellence! Das ist genau DAS, wogegen jeder Autist in irgendeiner Form kämpft!

Es gibt extrovertierte Menschen, Nichtautisten und auch Autisten.
Es gibt introvertierte Menschen, Nichtautisten und auch Autisten.
Es gibt fröhliche Menschen, Nichtautisten und auch Autisten.
Es gibt depressive Menschen, Nichtautisten und auch Autisten.
Es gibt psychopathische Menschen, Nichtautisten und auch Autisten.
Es gibt narzisstische Menschen, Nichtautisten und auch Autisten.
Es gibt ganz normale Menschen, Nichtautisten und auch Autisten.

Ein friedliches und respektvolles Miteinander, das wäre so schön.

All dies löst -für mich logisch- Depressionen aus. Und diese gepaart mit Autismus ist das reinste Perpetuum mobile, eine Schleife ohne Ende.

Ich lese gerade ‚Die Masken der Niedertracht‘. Ich bin gespannt, was ich noch lerne und auch: was mich noch mehr abschrecken wird an Persönlichkeitsveränderungen.

Ich habe mich, wie schon oft gesagt und geschrieben, aus nahezu allen autistischen Gruppierungen zurückgezogen. Für mich war dies ein heftiger Einschnitt, aber auch eine Möglichkeit wieder klar sehen zu können.

Der Link zum Beck-Test: http://www.deprilibri.fx7.de/doku.php?id=beck-test

Falls es jemanden interessiert auch der Link zu dem erwähnten Buch: http://www.dtv.de/buecher/die_masken_der_niedertracht_36288.html

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10 Gedanken zu “Theorien zu Depressionen bei Autisten”

  1. Wäre es nicht ratsam, die Kritik an diejenigen zu adressieren, die damit gemeint sind? Rein aus dem Zusammenhang und den „Gefällt mir“-Angaben heraus, zähle ich offenbar zur Gruppe der hier Angesprochenen. Dabei bin ich auf den Artikel eigentlich nur aufmerksam geworden, weil mir auf einem der sozialen Netzwerke mein „Ich schweige nicht“-Logo in der Vorschau angezeigt wurde. Was in diesem Zusammenhang irgendwie ziemlich paradox ist, da „Ich schweige nicht“ auch beinhaltet, dass ich nicht ruhig sein werde, weil sich sonst vielleicht jemand auf die Füße getreten (rw) fühlen könnte.

    Es tut mir sehr leid, dass du Depressionen hast, aber die Verantwortung dafür bin ich nicht bereit zu übernehmen. Ich wünsche dir gute Besserung.

    Ich wünsche mir, dass zukünftig Kritik direkter geäußert wird und klarere Worte gefunden werden, wer oder was denn nun gemeint ist. Dieses Wischiwaschi, in das jeder nach Belieben interpretieren könnte, wer da denn nun konkret gemeint ist, hilft auch niemandem weiter und bindet unnütz Kräfte. Dann doch lieber eine sachliche Auseinandersetzung. Und wenn man dann feststellt, dass man grundsätzlich verschiedene Positionen vertritt und nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommt, wissen zumindest alle Beteiligten, wo sie stehen.

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    1. Ich verstehe wirklich nicht, wie Du darauf kommst. Zumal ich noch nicht einmal weiß, wer Du wo bist und ich mich ganz sicher nicht in Mutmaßungen versteige, das bündelt nämlich bei mir zuviel Energien.
      Dass ich Wischiwaschi schreibe, okee, dann ist das eben Deine Meinung.
      Aber auch ich werde nicht anfangen zu schweigen, nur, weil mir jemand unterstellt Blödsinn von mir zu geben. Aber ich habe DEIN Bild dann mal gelöscht, weil mir Deine Bemerkung impliziert, dass du das besser finden würdest. Trotzdem war es eine gute Idee von Dir. Also das Bild an sich und der Gedanke dahinter.

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      1. Oh je, du hast mich arg missverstanden. Du hättest das Logo nicht löschen müssen.

        Mir ging es nur darum, dass es bei Kritik wie oben sinnvoller wäre, diejenigen zu nennen, die man meint. Um eben zu vermeiden, dass sich unbeteiligte Menschen angesprochen fühlen.

        Woraus liest du, dass ich glaube, dein Geschriebenes wäre Blödsinn? Das habe ich weder geschrieben noch gemeint.

        Zu „Wir schweigen nicht“ gehört auch, dass man eben klar und deutlich den Betreffenden ins Gesicht sagt, was falsch läuft. Die Kritik dort platziert, wo sie hingehört, auch wenn es für denjenigen dann unbequem ist.

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      2. Ich verstehe Dich leider noch immer nicht.

        Ich finde es extrem verwunderlich, dass Du Dich persönlich angesprochen fühlst. Warum sollte ich Dir gegenüber Kritik üben wollen, sollen, können? Wo ist der Grund, den ich haben könnte?
        Wir können das natürlich jetzt so weiter führen, aber ich sehe keinen Sinn darin.

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      3. Ich kenne deine Gründe nicht, deswegen habe ich ja nachgefragt.

        Warum ich mich eventuell angesprochen fühlte? Weil es in letzter Zeit mehrere ähnliche vage Aussagen gab (nicht von dir, von anderen), bei denen ich dann hintenrum erfahren habe, dass damit unter anderem auch ich gemeint sei. Deswegen dachte ich mir diesmal: Bevor ich es wieder von irgendjemand anderem erfahre, frage ich direkt nach. Was offenbar auch wieder falsch ist.

        Schade, solche Missverständnisse kosten doch auch alle Beteiligten viel Kraft, die anderswo sicherlich sinnvoller investiert sein könnte. Deswegen bin ich ein Freund vom Klartext. Aber ich muss wohl akzeptieren, dass du das anders siehst.

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      4. hart genervt ich bin.

        zu meiner Person: ich habe keinerlei Kontakte zu irgendwelchen Autistengruppen. Ich habe mich aus allen Chats, Foren und auch FB-Gruppen distanziert. Ich habe eine ganze echte und reale -autistische- Freundin, die ich regelmäßig treffe, und eine ganze virtuelle -autistische- Freundin, die im übrigen nichts mit irgendwelchen autistischen Gruppierungen zu tun hat, eben aus ähnlichen Gründen wie ich.

        Mein Erfahrungs-‚Schatz‘ was Mobbing unter Autisten, übler Nachrede, Diffamierungen, etc. betrifft, ist Oberkante Unterlippe gestrichen voll.
        Meine Geschichte, die aus diesem Blog oben, ist anwendbar auf jede einzelne Geschichte, die ich selbst erlebt habe!

        Aus Deinem letzten Satz lese ich eine gewisse Rüge. Du kennst mich nicht. Auch ich favorisiere die deutliche und klare Ansage, so what?

        Und, ein dezenter und freundlich gemeinter Tip von mir: wenn sich solche vagen Aussagen häufen, wenngleich meine nicht dazu zählt, würde ICH mal nachdenken, woran das wohl liegt, denn wo Rauch ist, ist auch Feuer.

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    2. Das ist mir klar. Ich stehe aber auch offen dazu, weder besonders diplomatisch noch kuschelig oder bequem zu sein. Natürlich bekomme ich dafür heftigen Gegenwind. Das stört mich auch nicht, nur dass es eben hintenrum passiert.

      Ich bin froh, dass ich offenbar nicht zu den von dir kritisierten Gruppen gehöre.

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  2. Ich habe vor einiger Zeit einen Artikel gelesen (leider ist der Link inzwischen tot) in dem es darum ging, dass Depressionen sich bei Autisten anders zeigen können, als bei NTs üblich ist. Ein markanter Hinweis auf eine Depression kann demnach z.B. sein, dass eines der Spezialinteressen keines mehr ist, d.h. ein Spezialinteresse, dass bisher dauerhaft verfolgt worden ist, interessiert einen Asperger-Autisten deutlich weniger (im Gegensatz zum Wechsel eines bisherigen Spezialinteresses hin zu einem neuen).

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    1. Ja. Dieses ‚verlieren‘ von Halt, was das meiner Auffassung nach ist, ist sehr verwirrend und pusht die Depression noch weiter.

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