Overload Overkill

Zugegeben, ein drastischer Titel, nur fühlt es sich exakt so an.

Mir ist alles zuviel. Reden. Schreiben. Kontakte an sich. Arbeiten. Kochen. Putzen. Waschen. Aufräumen. Selbst mein Nähen ist etwas angestrengt. Ebenso die Kontakte zu meinen engsten Vertrauten (meine Familie nehme ich da deutlich raus).

Vor gut zwei Wochen ist mir etwas klar geworden. Bzw. ich war endlich in der Lage es auch zu äußern = offen zuzugeben: ich bin seit knapp zwei Jahren in einem mal mehr mal weniger akuten Overload.

Zunächst war da der Beginn dieser unsäglichen Pandemie, die Fragen ‚wo bekomme ich Mund-Nasen-Schutz-Dingsda her‘, ein konkreter Auftrag und: ich fing an im Akkord zu produzieren. Das in etwa von März bis November 2020. Und wenn ich schreibe ‚Akkord‘, dann meine ich Akkord! Ich weiß wirklich nicht mehr wie viele Dingsdas ich genäht habe, aber es waren seeeehr viele.

Ich setzte mich selbst unter Druck. Meine Erwartungshaltung war enorm. So hatte ich Stückzahlen im Kopf, die ich täglich auch erzielen wollte. Und ich habe diese Zahl immer überschritten.
Zugegeben, das Nähen dieser Dingsdas ist intellektuell nicht wirklich eine Herausforderung, das Nähen an sich, die verkrampfte Haltung an der Maschine, die schmerzenden Hände vom vielen Zuschneiden, das, was in meinem Kopf passierte, das Herunterbringen in den Laden, die erzwungenen und notwendigen Kontakte. Es war ein ‚Kaltstart‘ von 0 auf 180 in 1,3758 Sekunden. Hinzu kamen die Anfragen ‚kannst Du nicht? Ich bräuchte x davon‘, die ich gerne bedient habe, weil es mir immer eine zwingende Notwendigkeit war, anderen eine Freude zu machen.

Dann kam der ‚Einbruch‘, bzw. die überaus gute Entscheidung der Politik, dass diese Stoffmasken nicht mehr ausreichend seien und nur noch medizinische Masken zulässig seien. Die Zeit habe ich genossen, wenngleich es schwierig für mich war aus dieser so zwingend gewordenen Routine wieder aufzutauchen.

Dann gab es irgendwann Anfang 2021 die Frage von ‚meiner‘ Apotheke ‚wer traut es sich zu die Bürgertestungen zu machen?‘ und *zack*. War klar, oder? Ich war natürlich dabei.

Wobei ich auch hier zugeben muss, dass ich aus Überzeugung und auch mit großem Spaß dabei war. Alleine das Gefühl, dass da Menschen kommen, hochgradig verunsichert, teilweise mit üblen Testerfahrungen, und man ist in der Lage diese Menschen mit einem Grinsen wieder gehen zu lassen, weil es eben nicht weh tat, weil der Umgang mit ihnen freundlich, fröhlich und einfach nett war und ist. Oder eben der ‚Gewöhnungseffekt‘ der ‚Wiederholungstätern‘, was das ganze Unterfangen zu einer nahezu familiären Sache werden lässt.

Ich wurde oft gefragt, von Freunden, sowie auch von einzelnen Kolleginnen, wie ich das hinbekomme. Diese zum Teil sehr sehr nahen Kontakte, diese ständige Reden müssen, Berührungen gab es ja glücklicher Weise nur einseitig und dann von meiner Seite.

Tja. Warum mache ich das, warum kann ich das?

Es grenzt an mein eines SI ‚Medizin‘. Allerdings habe ich so manches Mal auch gedacht, dass ein weiteres SI von mir durchaus sein könnte fröhlich und freundlich mit anderen umzugehen, denn das kann, bzw. konnte ich einfach nicht abstellen. Ich mutierte zur ‚Rampensau‚, wobei ich betonen möchte, dass ich andere NICHT in den Hintergrund gedrängt habe, ich habe mich lediglich sehr viel und sehr oft für Extradienst angeboten, die Sonntagsdienste, die ‚auf meinem Mist gewachsen waren‘, die Testung für den hiesigen Karnevalsverein, oder die Weihnachts- und Jahreswechseldienste, oder auch, wenn mal wieder irgendwo ‚Not am Mann‘ war > ‚Hildchen war da‘.

Ich gestehe: ich beneide meine Kollegen, die sich abgrenzen können, priorisieren können, ausblenden können. Denn ich kann das nicht. Bei mir gibt es nur ‚ganz oder gar nicht‘.

Hinzu kam, dass wir diesen unsäglichen Whatsapp-Chat haben, ich überall in den Senfmodus verfallen bin und so manches Mal mehr oder weniger direkt einen ‚drüber‘ bekommen habe. Das allerdings von einzelnen, mit denen ich tatsächlich nicht wirklich gut klar komme, was aber mit der Arbeit an sich nichts zu tun hat, sondern mit der zwischenmenschlichen Chemie.

Ich frage mich ernsthaft, wie ich es geschafft habe Voll- oder Teilzeit zu arbeiten!
Denn: dieser Minijob laugt mich to.tal. aus.

Vor zwei Wochen, ich war schon wieder schmerzgepeinigt (die Fibromyalgie war mal wieder fröhlich dabei), mit erheblichen Schlafstörungen, gedanklich ausschließlich im Testzentrum, eigentlich mehr ‚tot‘ als lebendig, *zack* im autistic burnout. Mir wurde klar, dass ich zwei Jahre furchtbaren Raubbau mit meinem Nervenkostüm, mit meinen Ressourcen betrieben habe, dass ich die Halsschmerzen (Affirmation: Ich habe so einen Hals), die Probleme mit meinen Ohren (Affirmation: ich kann es nicht mehr hören), die Rückenschmerzen (Affirmation: ich kann es nicht mehr ertragen), die schmerzenden Hände und geschwollenen Finger (brauche ich nicht erklären, oder?) > im Prinzip selbst verursache, weil ich es nicht mit Abstand (und vor allem: Ruhe) angehe, ich habe im Prinzip jeden einzelnen Tag mit lautem Helau meine vorhandenen Löffel in die Botanik geschmissen (sh. Löffeltheorie). Ich kann den Job durchaus weiter machen, aber nicht mehr so hochfrequent, ganz abgesehen davon bin ich nicht die ‚Mutter der Nation‘, für alles verantwortlich und Feuerwehrfrau schon gar nicht.

Die Frage ‚mache ich weiter, oder höre ich besser auf?‘ rotiert seit Wochen in Meinem Kopf.

Klar, die Gefahr der Ansteckung, trotz Booster und diverser Schutzmaßnahmen, ist gegeben. Ich sage immer ‚Es ist wie der Tanz auf einem aktiven Vulkan‘, nur, irgendwer muss diesen Job doch machen. Und da ich kein Problem damit habe wildfremden Menschen in der Nase herumzubohren, vorsichtig versteht sich, aber gründlich, why not?? Außerdem sind wir ein wirklich tolles Team, wenngleich ich auch der einen oder anderen weit aus dem Weg gehe, was ein anderes Thema ist, s.o.

Für mich ist es wichtig weiterzumachen!

Denn der psychologische Effekt von ‚Schluß! Ich höre sofort, oder in 2-3 Wochen, auf!‘ ist:
höchst demoralisierend!
Für mich und meine schräge Psyche wäre es ein weiterer Schlag ins Genick in Richtung von ‚ich schaffe ja eh nichts‘, was natürlich gaga ist, trotzdem würde es mich exakt so erwischen. Ich würde mich schämen, weil ich nicht durchgehalten habe. Blöd. Ja. Unbedingt.

Aber sowas passiert, wenn man als Autistin real und im übertragenen Sinn dauermaskiert versucht ein ’normales‘ Arbeitsleben zu führen.
Und, wenn man an Menschen gerät, die von einer Autistin erwarten ’normal‘ zu sein.
Selbst wenn letzteres Dekaden Geschichte ist, losgeworden bin ich dies nicht!

Die Dauermaskerade fällt mir gerade sinnbildlich auf die Füße, denn ich merke, dass ich aktuell kaum in der Lage bin ein ausgeglichenes Gesicht zu machen. Die Frage warum ich das überhaupt versuche: ist berechtigt. Und ich hoffe, dass ich, sobald ich wieder arbeite, den Pausenclown zuhause lasse, nicht gezwungen grinse und fröhlich bin, sehen kann man davon ohnehin nicht viel.

Konditionierung ist schon was faszinierendes. Nicht.

Und mein Betongesicht (Sabine Kiefner nannte ihres ‚Alltagsgesicht‘) macht weniger Falten. Basta.

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