‚Normal‘ sein – erstrebenswert oder nicht?

„Was ist schon normal??“, meist begleitet durch ein breites Grinsen (es fühlt sich zumindest so an) ist eine meiner Lieblingsfragen, wenn es mal wieder darum geht, dass irgendwas oder irgendwer ’normal‘ oder ‚anormal‘ ist.

Nur wie ist es, wenn man qua einer Behinderung eben das nicht ist, also ’normal‘?

Es ist egal, ob man sehbehindert, gehbehindert, geistig behindert, oder seelisch behindert ist, man sticht immer aus der Masse heraus. Wird zum Teil belächelt, ausgelacht, gemobbt: sprich ausgegrenzt, aber bei den sichtbaren Behinderungen gibt es dennoch einen großen Anteil von: Akzeptanz!

Bei den unsichtbaren Behinderungen, wie Depressionen (die inzwischen glücklicher Weise in der Gesellschaft ‚aufgenommen‘ worden sind), Autismus (uuuuh, nein, ich bin nicht ansteckend!), ADHS-ADS (auch inzwischen irgendwie akzeptiert, dennoch wird man z.T. ausgegrenzt, weil der Anteil dieser Behinderung teilweise sehr deutlich ist und für viele nur abstoßend und anstrengend), Borderline (eine grausame Geschichte, abschreckend für viele, ein Stigma für den betroffenen), diverse Persönlichkeitsstörungen, die ich hier nicht näher aufführen möchte,..: es ist ’schwierig‘!

Unsichtbare Behinderungen sind nicht weniger schlimm als sichtbare!

Möchte ich ’normal‘ sein, wenn ich denn die Wahlmöglichkeit hätte, jetzt?
Nein, zumindest nicht das ’normal‘, was andere dafür halten!

Jeder einzelne Mensch unterscheidet sich von seinem nächsten. Unser Kredo ‚kennst Du einen, kennst Du einen!‘ kann auf jedes einzelne Individuum gelegt werden, nicht nur auf die Autistin, auf den Autisten, auf den autistischen Menschen! Selbst in der Natur ist nicht eins wie das andere, kein Blatt hat einen 100%igen Zwilling, kein Hund, keine Katze, kein Regenwurm, kein Fisch, kein Kaktus, keine Schneeflocke! Alles bedeutet Unterschied.

Nur, warum müssen Menschen so darauf drängen, dass man gesellschaftskonform lebt und arbeitet, lernt und lehrt? Warum müssen Menschen weg vom einzelnen Individuum eine Uniformität anstreben, das Runde muss partout ins Eckige, jeder muss ‚funktionieren‘, sonst ist er entgegen der Gesellschaft… ??
Ich denke, das hat viel mit Neid zu tun, mit Frust, mit Stress, mit Angst, vor/auf allem/alles, was in irgendeiner Form anders ist.

Ich bin, auch wenn ich nicht dem autistic pride anhänge, stolz, irgendwie, manchmal, dass ich bin wie ich bin. Dies steht und fällt (RW) mit meiner Depression und in Anteilen auch mit meiner Angst. An Tagen, an denen meine Depression meint doch mal wieder das Ruder meines Lebens übernehmen zu müssen, möchte ich wie andere ‚funktionieren‘, normal sein, mehr Akzeptanz erleben, keine Depression haben, keine Angst vor anderen Menschen, den Autismus habe ich mir trotzdem nie weggewünscht. Und an diesen Tagen ist es hart, sehr hart, aber ich stelle mich und meinen Verstand dagegen. Ich suche mir Dinge, die mir liegen, die ich gerne mache und Glücksgefühle erzeugen. Sei es, dass ich backe, dass ich nähe, ich das  selbst zusammen gestellte Potpourri die Wohnung beduften lasse, oder einfach nur stundenlang lese. Für manche absolutes ‚Pillepalle‘, Nonsens, Blödsinn, für mich: überlebenswichtig.

An Tagen, an denen ich meiner Depression gehörig in die Kehrseite getreten habe ‚Du kriegst mich nicht!‘ und sie mich in Folge dessen in Ruhe lässt, ist mir mein Anderssein wirklich sehr egal und mir geht es gut. Mir ist es dann egal, ob man mich schräg anschaut, weil ich mit meinen Klamotten auffalle, mir ist es egal, ob man irritiert ist, weil ich mein ‚Alltagsgesicht‘ trage und ggf. mürrisch, unfreundlich, arrogant wirke.

Inzwischen bin ich sehr dankbar, denn die depressiven Tage werden immer weniger, wenngleich ich weiß, dass es nur einen winzigen Hauch von Impuls braucht und meine Depression bekommt wieder Oberwasser. Was nicht bedeutet, dass es mir durchgängig gut geht, denn mein Autismus beeinträchtigt mich durchaus, ich bin allerdings glücklicher Weise in der Lage dem nachzugeben, wenn ich denn mal einen Tag definitiv, obwohl keine Milch im Kühlschrank ist, einfach nicht einkaufen gehen KANN, das als nebensächliches Beispiel.

Was mich nervt, das ist: wenn man mich qua meiner Behinderung und meinem früheren, oder auch aktuellen, Bedarf an Hilfestellungen, als unzulänglich ansieht! Und mich dann auch noch so behandelt.

Ich lebe mein Leben. Nicht erfolgreicher als andere, aber selbstbestimmt und in großen Anteilen glücklich, was ist daran schlecht auch nach Hilfe zu fragen, wenn man sie benötigt?? Nichts. Aber es ist verletzend und ziemlich überflüssig, Menschen, die sind wie sie sind auszugrenzen, auszulachen, zu mobben, ihnen das Gefühl zu vermitteln unzulänglich zu sein, weil sie sind wie sie sind.

Wie geschrieben: ich möchte nicht anders sein als ich bin.
Ich bin normal, denn: was ist schon normal? => etwas sehr individuelles!!

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Nachtrag zu diesem ‚unzulänglich*:
Es gibt Personen und Situationen, wo man dieses Gefühl vermittelt bekommt. Oftmals fühlen sich Menschen tatsächlich überlegen und trumpfen dann damit auf (RW).
Aber: es gibt auch diese Situationen, in denen einem dieses Gefühl vermittelt wird, weil man Platzhalter für irgendwas ist, weil es eine Übersprungshandlung ist dieses Gefühl zu vermitteln, weil man gerade das ‚perfekte Ziel‘ darstellt.
Oftmals geboren aus der Verfügbarkeit, oder auch Omnipräsenz, auch wenn man nicht omnipräsent sein will.

So ein Verhalten ist menschlich, aber für den Empfänger maximal verletzend. Und ja, ich erlebe so etwas in regelmäßigen Abständen in meiner nächsten Umgebung. Nur, es wird mir in diesem exakten Moment zunächst nicht deutlich und ich reagiere nur noch und das sicherlich dann auch verletzend, was ich selbst nicht gut finde und mich später deswegen durchaus auch schäme.

In diesen Momenten kommt in mir ein Gefühl hoch wie ‚ich bin über!‘ oder ‚ich bin doch nur ein Fußabtreter, warum bin ich noch hier?‘, oder ‚Warum? Was habe ich getan?‘. = Meine Depression greift mit großen Händen zu und ich kann mich nicht dagegen wehren.  Und in solchen Situationen hasse ich es, nicht regelrecht und adäquat reagieren zu können. Aber ich hasse es auch, dass man mich, weil ich eben bin wie ich bin, derart ausnutzt, denn was anderes ist es nicht.

 

 

 

 

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2 Gedanken zu “‚Normal‘ sein – erstrebenswert oder nicht?”

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