Vorab als Erklärung, wobei mir die Erklärungen, die man im Internet findet, nicht unbedingt ’schmecken‘:
innovativ sein, Innovation bedeutet, kreativ sein, neue Ideen haben, erneuernd.
Individualismus bedeutet, dass man sich nur für sich selbst interessiert, seine eigenen Dinge macht, seinen eigenen Lebensstil praktiziert, sich aber -angeblich- nicht für das Kollektiv, für die anderen interessierend agiert. Individualismus wird von einigen mit Egoismus gleichgesetzt, das stimmt aber sicherlich nicht in jedem Fall.
Kollektivismus bedeutet: alles ist wichtiger als der einzelne, ganz platt formuliert. Besser: die Allgemeinheit hat unbedingten Vorrang vor dem Individuum.
In dieser Gesellschaft ist es scheinbar schon so, dass zunächst ein kleines Kind derart gefördert und gefordert wird, dass es sich zu einem eigenständigen und irgendwann autonomen Individuum entwickelt. Zunächst!
Dies fängt an zu ‚wackeln‘, sobald das Kind in den Kindergarten kommt und sich der Gemeinschaft unterordnen muss und der antrainierte, anerzogene Individualismus nur noch bedingt zuhause ausgelebt werden kann.
Beispiel: das Kind darf zuhause mit Fingerfarben die Fenster bemalen. Dies gilt als normal und sehr schön, da so die Kreativität, die Sensorik und irgendwie auch die Selbstbestimmung des Kindes gefördert wird (wie die Mutter das dann später findet, das alles wieder vom Fenster kratzen zu müssen ist nachrangig). Im Kindergarten aber, ist die strikt verboten (wirklich nur ein Beispiel, wüsste nicht, dass das tatsächlich in den KiGas verboten ist), da man keine Lust darauf hat, die Fenster ständig von der Pampe zu befreien. Das Kind wird also genötigt den ’normalen‘ Stift in die Hand zu nehmen, fühlt sich aber in seiner Freiheit stark beeinträchtigt und verliert den Spaß an seiner eigenen Kreativität, weil es keine Lust hat dem Einheitsbrei aller anderen ‚malt mit den Stiften‘ zu folgen.
Noch arger wird es, wenn dieses schon vom Kindergarten geprägte Kind in die Schule kommt. Ich meine eine ganz normale Regelschule, denn es gibt auch Schulen, die das individuelle Sein eines Kindes bis zu einem gewissen Grad fördern. Ab da heißt es nur noch ‚Anpassung‘.
-Man kann nicht einfach aufstehen und durch die Gegend laufen, obwohl man es gerade so dringend benötigen würde
-Es wird einem sogar vorgeschrieben, welche Stifte, Wachsmalkreide, Hefte man zu benutzen hat (kompletter Irrsinn, denn viele Materialien, die von der Schule gefordert werden sind sehr teuer, was Familien mit geringerem Einkommen noch weiter ausgrenzt, aber das ist noch ein anderes Thema)
-ggf fängt unter den Kindern auch noch das Gehänsel an ‚uuuh, guckt mal, was hat DIE denn da an?! Keine xyz (Marke) Jeans, der Parka ist von Aldi, die Schuhe von Deichmann!‘ – ein kollektiver Druck entsteht. Viele Kinder fangen dann an Druck auf die Eltern auszuüben, ohne dies böse zu meinen und nach teuren Markenklamotten zu verlangen, bloß um nicht noch mehr aufzufallen.
Das sind marginale Beispiele, die aber der Beginn einer Endlosschleife darstellen.
Was ist in diesem Umfeld mit Autisten??
Die qua ihrer Besonderheit ohnehin schon sehr individualistisch sind: gerne immer die gleiche Jeans, das gleiche Shirt, den gleichen Stift, Klettschuhe, Schlupfhosen ohne Reißverschluss, niemals Kunstfasterpullies, nur schwarze TShirts, oder ausschließlich den Bleistift und nicht den Füller?!
Diese Kinder fallen durch das so oft beschriebene Raster, fallen auf, immer mehr, manche werden noch stiller als sie ohnehin sind, manche fangen an sich unangemessen zu wehren (so die Ansicht der Gesellschaft), manche verweigern konsequent um sich selbst zu schützen, wieder andere denken ‚ach, die können mich alle mal‘ und ziehen ‚ihr Ding durch‘ (RW).
Und das Chaos beginnt. Nicht in jedem Fall, viele schaffen es, sich zu behaupten, ihren individuellen Weg zu gehen, andere ‚versagen auf ganzer Bandbreite‘ und müssen sich erst wieder sehr mühsam den Weg, zumindest an den Rand der Gesellschaft, erarbeiten.
Ich gehe nun einmal von mir selbst aus weiter, die ich mich ‚durchgebissen‘ habe, einen Schulabschluss erlangt habe, eine Ausbildung abgeschlossen habe und auch gearbeitet habe. Und es war nicht einfach! Nicht aus kognitiver Sicht, oder weil ich evtl. nicht den nötigen ‚geistigen Horizont‘ habe, nein, weil ich immer intellektuell und individuell sein wollte, innerlich auch immer geblieben bin, aber äußerlich mich den Erwartungen anpassen musste. Und fast daran zerbrochen bin.
Ich frage mich, wieso ein Arbeitgeber sagt ‚Wir benötigen kritische Mitarbeiter! Nur die bringen uns weiter!‘ und es überhaupt nicht so meint.
Ich frage mich, warum die Gesellschaft immer wieder Innovationen fordert, wenn man sie dann aber liefert ein lautes Gebrüll ausbricht.
Ich frage mich, warum immer alles ‚main stream‘ sein muss, was ich als unglaublich langweilig empfinde.
Ich frage mich, warum es immer die angesagte Jeans, die Stöckelschuhe, diese gerade angesagt Farbe, jene teure Marke, sein muss um angeblich ‚dazu zu gehören‘.
Sei es der Asylant, der sich bemüht und bemüht diese furchtbar fremde Sprache zu erlernen um endlich einen Arbeitsplatz zu finden um sich und seine Familie losgelöst von den staatlichen Zuwendungen autonom finanzieren zu können. Ja, auch das ist innovativ, denn sie haben alles verloren und müssen sich neu strukturieren, sonst ‚gehen sie unter‘. Außerdem haben sie durch ihr Erleben Impulse mitgebracht, die sehr wertvoll sein können, da die meisten echte Überlebenskünstler sind.
Sei es der Autist, der aufgrund seiner anderen Wahrnehmung, Hirnstruktur, anders arbeitet, logisch strukturiert, mögliche Fehler im System erkennt.
Man fällt durch das Raster.
Ich habe es selbst erlebt, dass mir gesagt wurde ‚wir brauchen kritische Mitarbeiter!‘ und das nicht nur einmal, aber jeder einzelne Verbesserungsvorschlag wurde abgeschmettert. Das trägt nicht gerade zur Zufriedenheit des Mitarbeiters bei. Innerliche Kündigung ist ein Schreckgespenst eines jeden Arbeitgebers, nur verschulden viele genau diese Hemmung der Innovationen selbst.
Leider musste ich auch selbst erleben, drei Mal, dass ich genau wegen meiner Hirnstruktur (ich war bei 2x noch nicht diagnostiziert, beim 3. Mal schon und es hat wohl ein großes Unwohlsein bei meinem damaligen AG ausgelöst), wegen meiner anderen Arbeitsweise, wegen meinem analytischen Denken, wegen meiner schonungslosen Art unliebsame Dinge anzusprechen, wegen meinem Ruhebedürfnis… gekündigt wurde.
Ich frage mich, wann Arbeitgeber endlich erkennen, was sie an einem autistischen Mitarbeiter haben können, dass sie mit einem solchen Mitarbeiter durchaus gewinnen können, wenn sie ihm individuelle Freiheiten einräumen.
Denn: alle Autisten, die am Rand dieses Kollektivs herumschwappen, arbeitslos, in Rente, in Minijobs, teilweise ohne Bildungsabschluss da sie dem Druck nicht standgehalten haben, bedeuten Ressourcen, die kopflos verschleudert werden!
Es wird Zeit, dass die Gesellschaft, das Kollektiv, umdenkt!! Ganz dringend wird es Zeit!
Es macht Sinn sich auch einen zunächst unbequemen Auszubildenden ‚anzutun‘, oder einen auffälligen Angestellten, der unbedingt einen Platz für sich alleine braucht, ggf. mit einer Mickymouse auf den Ohren vor sich hin brummelnd arbeitet, der schaukelnd auf seinem Stuhl sitzt, ggf. auch summt, sonderbar mit den Händen wackelt, un-kommunikativ zwischen den anderen sitzt, sich windet, wenn er in einer Gruppe sein muss… Hört sich schlimm an, oder? Ist es aber nicht!
DENN: wenn man diesem Menschen eine Chance gibt, kann man den loyalsten und produktivsten Mitarbeiter erwischen, den man sich überhaupt vorstellen kann!! Auch ohne abgeschlossene Schulbildung, oder Berufsausbildung! Klischees sind eine Geißel der Gesellschaft, man muss sie unbedingt abstreifen, auch wenn einige zutreffend sind.
Autisten sind speziell!
sicher
ausgeprägte Individualisten!
sicher
nicht unbedingt gesellschaftsfähig!
sicher,
aber sie sind innovativ!
Ganz sicher!
Wenn man sie lässt!