Rente, bzw. was macht das mit der Psyche

Ich bin seit fast 5 Jahren in EU-Rente (EU hat nichts mit der EU zu tun, sondern bedeutet Erwerbsunfähigkeits-, oder Erwerbsminderungsrente).

Alle 2 Jahre musste ich nachbeantragen, es wurde mir ein 1/4tel Jahr ‚abgeknapst‘ und weiter bewilligt. Ok, das war nun zwei mal so der Fall.

Dieses Jahr bekam ich eine ‚Einladung‘ zu einer Begutachtung, was mich logischer Weise in helle Aufregung versetzte, ich es aber verstanden habe, denn begutachtet wurde ich vorher nicht einmal. Die Befundberichte waren wohl ausreichend, meine Ärzte hatten wohl das passende berichtet.

Ich hatte glücklicher Weise ausreichend Zeit mich auf diesen Termin vorzubereiten, hatte mir Leute organisiert, die mich dorthin begleitet haben, meine Tochter und die Damen von der Jugendhilfe, die mir helfend zur Seite steht.

Geschockt hat mich dann im Termin, dass es Zeitverschwurbelungen gab: der angesetzte Termin war für mich 9 Uhr, zu dem wir auch überpünktlich erschienen. Nur drückte man mir zunächst einen dicken Packen Papier in die Hand, einen Fragebogen, den ich auszufüllen hatte, mit dem ich erhebliche Probleme hatte. Ich wusste zum Teil kaum, wie ich die Fragen beantworten sollte, denn z.T. waren sie so blöd ‚was für Beschwerden haben sie aktuell?‘ und ähnliche Allgemeinplätze, dass ich meine Begleiterinnen fragend angesehen habe und Hilfestellungen benötigte, zum anderen hieß es plötzlich: ‚Ja, Sie müssen um 9 Uhr hier sein, eine halbe Stunde für den Fragebogen, die Begutachtung startet um 9.30 Uhr und dauert 2 Stunden. >>> was mir den sprichwörtlichen Boden unter den Füßen wegriss. 2 Stunden?? ZWEI??

Und: meine Begleiterinnen durften nicht an der Begutachtung teilnehmen, was mich, so wie ich im off steckte, doch reichlich aufgeregt hat und ich fing an mit autistischen Allgemeinplätzen um mich zu werfen ‚Autisten steht eine Begleitung zu‘, usw.

Erklärt wurde es mir sehr gut, später, in der Begutachtung. Denn: wenn man mich begleitet hätte, hätte ich mich komplett auf meine Begleitung fokussiert und hätte meinen Autismus nicht ‚von der Leine gelassen‘ (RW). Ja, ich bin dann doch wohl noch erheblich konditioniert, wenn ich begleitet werde, oder in der Lage auszublenden, wenn ich begleitet werde.

Nun gut. Aus den avisierten 2 Stunden wurde dann doch nur eine Stunde, ich hatte meine Tochter anfangs schon heim geschickt, weil 2 Stunden brauchte sie nicht zu warten, und ich war darüber heil froh, denn nach ca 45min war mein Kopf leer wie ein  unaufgeblasener Luftballon: ich hatte Wortfindungsstörungen, stotterte, schaukelte noch wilder als ohnehin schon, die 15min körperliche Untersuchung incl. neurologischer Untersuchung waren dahingegen ein so genannter Pappenstiel. Da Medizin eins meiner SIs ist, fand ich diese sogar recht witzig.

Was ich wirklich gut fand, zur Begrüßung musste/habe ich der Gutachterin die Hand gegeben, wie wohlerzogene Menschen das halt tun (frustriertes Achselzucken, Händeschütteln wird überbewertet!!), innerhalb der Begutachtung hatte ich dann mein diesbezügliches Unwohlsein erwähnt. Zum Abschied verzichtete sie bewusst auf das shake hands.

Nach der Begutachtung bin ich sprichwörtlich aus dieser Praxis heraus gefallen, wurde in einen Wagen verfrachtet und heim gebracht.

Mir wurde avisiert ‚in 2 Wochen schicke ich das Gutachten an die Rentenkasse, wie schnell die dann allerdings sind, kann ich nicht sagen!‘. Ich hatte den Bescheid nach 1 1/2 Wochen.

Meine Zeitrente wurde ausgesetzt und auf Dauerrente gesetzt, bis zum Eintritt in die Regelrente.

Wow.

Nur, das Gejubel blieb bei mir aus. Alle, restlos alle, sei es mein Psychiater, sei es mein Therapeut, mein Mann, meine Tochter, Freunde, freuten sich wie blöd.

Ich verdaue noch immer. Mir wurde letztens von einer Bekannten geschrieben ‚Deinen Weg sind noch nicht viele vor dir so auf diese Weise gegangen…‘. Warum eigentlich nicht? Wenn Arbeit krank macht, hat man das Recht dazu! Und auch, wenn man eben aus diesem Grund überhaupt nie arbeiten kann, ebenfalls, wenngleich es dann nicht Rente heißt.

Trotzdem.

Psychisch gesehen befinde ich mich seitdem im Dauerzustand der ichweißnichtwas, Frustration, Depression?? Ich denke nach, ich bin traurig.

Es fühlt sich an wie ‚ich bin unfähig‘. Nur bedeutet es das nicht, auch wenn ich inzwischen den Befundbericht vorliegen habe und es mir seitdem ich ihn gelesen habe wirklich nicht gut geht. Dort steht beschrieben, wie ich auf andere wirke, wenn ich in einer echten Ausnahmesituation bin und das ist schon ziemlich gruselig.

Abweisend, oppositionell, abgewandt, nur um mal 3 Dinge zu nennen.

Gut zu wissen ist, dass ich in mir drin so ganz sicher nicht bin.

Gut zu wissen ist, dass ich mich dem Haifischbecken ‚Arbeitsmarkt und Arbeit‘ nie wieder ausliefern muss.

Gut zu wissen, dass dieses Damoklesschwert, dass seit knapp 5 Jahren über mir schwebte ‚die Rente KANN auslaufen und ich muss wieder los‘, nun weg ist.

Dennoch fühlt es sich sonderbar an. Frustration hat mich immer begleitet. Nicht in der Lage zu sein, wie andere zu sein, zu agieren, zu arbeiten, meine mögliche Karriere nicht zu aktivieren und auszuleben (Kinder waren mir deutlich wichtiger!!), wenige bis keine Freunde….

Alles Oberflächlichkeiten, trotzdem muss ich mich an meinen neuen Status gewöhnen und ich denke, das wird noch eine Zeit lang dauern.

Rente mit u67 ist etwas gutes wenn man nicht mehr kann, für die Psyche ist es bei mir zweischneidig. Ich muss mir zugestehen, dass ich tatsächlich nicht mehr kann, mir, dem Energiebündel, inwendig, manchmal auch sichtbar. Das lässt mich gerade psychisch doch etwas in die sprichwörtlichen Knie gehen.

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EDIT: Meine Psyche rotiert, wie oben schon angerissen. Durch meinen Autismus fühle ich mich schon immer ‚auf dem falschen Planeten‘, fühle, dass ich anders bin, dass ich nicht ‚bestehen‘ kann, zumindest nicht so, wie es die Gesellschaft erwartet. Dass ich anders reagiere als die ‚Norm‘, anders fühle, anders denke. Ich fühle mich unfähig!
Meine Rente pusht dies alles irgendwie, ermöglicht mir allerdings auch, dass ich mein Leben losgelöst von gesellschaftlichen Normen so gestalten kann, wie es mir überhaupt möglich ist, in durchaus eng gesteckten finanziellen Möglichkeiten, aber Geld ist nicht alles.
Autismus und Rente, vorzeitige Rente, ist sicherlich etwas, was einige erleben. Und damit meine ich nicht die Regelrente. Ich finde es traurig, dass man mehr oder weniger gezwungen ist diesen Weg zu gehen, weil man nirgendwo angenommen wird in der Arbeitswelt! Wie muss das für erheblich jüngere sein? Ich stelle es mir ziemlich grausam vor.

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4 Gedanken zu “Rente, bzw. was macht das mit der Psyche”

  1. Ich war auch erst wieder bei der Begutachtung. Allerdings war es nicht so Umfangreich wie bei Dir. Für mich ist das jedes Mal schlimm. Allerdings durfte ich gar nichts erzählen außer auf die Frage was ich denn Bitteschön den ganzen Tag mache. Furchtbar. Als würde man nur im Bett liegen. Nach 15 Minuten konnte ich gehen. Auf der Hinfahrt hatte Zug Verspätung, dann habe ich mich verlaufen ( ich mit meiner blöden Orientierung). Ich kam da schwitzend und fix und fertig an und dann auch noch 15 Minuten zu spät was für mich ein No Go ist. Dann murmelte die nur ich verstand kaum was. Naja mal schauen was auf den Bericht steht. Jetzt hast du es hinter Dir! Und sollte sich irgendwann wie wo doch etwas ändern, kannst du das jederzeit revidieren. Du weißt genau was du leistest. Und was nicht geht , geht eben nicht.

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    1. Ja. Ich kann es revidieren, wenn ich denn tatsächlich einen Arbeitgeber finden sollte, der meinen Neigungen, Möglichkeiten und Fähigkeiten entsprechend einen Job für mich hätte. Ein Anruf bei der Rentenkasse und ich bin meine Rente los. Nur, will ich das wirklich riskieren? Meine Erfahrungen in den letzten 3 Jobs sind so verheerend, dass ich Angst vor einem, und sei es alles noch so vielversprechend, neuen Desaster. Ich denke, das würde ich psychisch wirklich nicht überleben, obwohl ich mich -eigentlich!- für eine sehr starke Persönlichkeit halte.

      Ich kann sehr gut nachvollziehen, wie Du das alles erlebt hast. Mir bricht alleine beim Lesen schon der Schweiß aus.

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  2. Ich kann es auch nicht mehr…allerdings denkt mein Psychologe wenn mein Sohn Arbeit hat wird alles gut. Ich habe keine Kraft mehr dafür ständig dagegen zu reden. Zumal es aktuell auch nicht danach aussieht.

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