Inklusion, oder: auch auf alternativen Wege geht es sich gut

Es ist immer eine sehr schmerzhafte Erfahrung zu erleben, dass das vormals aufgeweckte Kind sich in ein schweigendes maximal zurückgezogenes Etwas entwickelt.

Es ist brutal eine Zeit durchzumachen, in der eben dieses Kind, intelligent aber eingeschränkt, sich in ein ‚etwas‘ verwandelt, dem so genannte Fachleute mangelnde Intelligenz zusprechen, allein deswegen, weil das Kind sich nicht äußert, nicht reflektiert handelt, nicht in der Lage ist an sozialen Interaktionen teilzunehmen, allein deswegen, weil diese Fachleute nicht erkennen, dass die Verquickung von Autismus und Depressionen ein psychisches Inferno bedeutet.
Und ich meine mit ‚eingeschränkt‘ nicht be-schränkt!! Sondern aufgrund des Autismus logischer Weise nicht altersgemäß in der Lage zu handeln, sich zu äußern, zu interagieren.

Wir haben jetzt, zu diesem Zeitpunkt, gut 11 Jahre hinter uns, die letzten 3 davon waren extrem, in denen wir geschüttelt wurden von Angst um unser Kind, von Zukunftsängsten gepaart mit finanziellen Ängsten, extremer Sorge, von sehr viel Ärger, Stress mit Behörden und vor allem: Stress, unsagbarer Stress, mit Schulen!

Dieses Jahr, übermorgen ist der Stichtag, haben wir dies alles hinter uns und wir kommen so langsam zu Ruhe. Die hier angeordnete Schulpflicht endet.

Natürlich ist es niemals, absolut niemals wünschenswert, dass das Kind keine abgeschlossene Schulausbildung vorzuweisen hat, denn davon hängt so immens viel ab, aber manchmal ist genau DAS der Weg, denn es bedeutet für mich auch ein: ‚HA! Standgehalten!‘.

Ich meine damit, man hat sich den unsinnigen Anforderungen, Bemerkungen, Grundsätzen des hiesigen Schulsystems verweigert.

Diese angesprochenen 11 Jahre sind die Schuljahre unseres Sohnes.

Beginnend, wie alle anderen auch, mit der Grundschule und ich sage heute, auch wenn es unsinnig ist, da wir nichts ändern können daran: ‚hätte doch bloß der Kinderarzt bei der U8, da war unser Sohn 4, etwas abgeklärter reagiert, als ich sagte ‚wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen unser Kind ist autistisch‘. Es wäre ein leichtes gewesen einen Termin bei einem Facharzt zu machen, eine Diagnostik zu machen. Und es hätte uns verdammt viel Leid erspart. Und vor allem unserem Kind!

So wurde er 4 Jahre später diagnostiziert, als er in Klasse 2 sehr auffällig wurde, die Schule immer aggressiver in ihrem Vorgehen wurde, die Schulpsychologie ‚mit ins Boot holte‘, was sich im Nachhinein für uns als etwas sehr sehr gutes herausstellte, denn dieser Psychologe war zu 100% auf der Seite unseres Kindes. Nur ein zahnloser Tiger im Bezug auf die Schule, denn auch er wurde ausgebremst.

Die Schulkarriere unseres Sohnes ist kein Einzelfall.

Geparkt auf einer Hauptschule, die ich als Brennpunktschule bezeichne, auch wenn wir in keinem solchen leben, der Einzugsbereich beinhaltet aber einen solchen und diese bemitleidenswerten Kinder sammeln sich dann dort. Gewechselt zu einer Förderschule, also immer weiter herab in den Anforderungen, obwohl selbst die Grundschule damals meinte ‚intellektuell gehört er aufs Gymnasium‘, aber auch ‚wir wollen ihn doch nicht überfordern!‘.

Inklusion…

Inklusion ist etwas sehr gutes, wenn es denn sachgerecht vonstatten geht. Was in den wenigsten Fällen der Fall ist und sei es nur wegen der notwendigen Umbaumaßnahmen, und selbst wenn diese nicht im notwendigen Maß möglich sind, scheitert es an den Köpfen, die das alles umsetzen müssen: den Lehrern.

Gestern schrieb eine Bekannte, sie sehe nur eine einzige Lösung, die georgische: alle austauschen. Kündigen, neue ausbilden und auf die Posten setzen… was dann aber eine Dekade Durststrecke und Nichtbeschulung bedeuten würde, also unmöglich ist. Und, wie sollen die neuen ausgebildet werden, wenn an den Hochschulen nichts geändert wird? Also muss dort auch ein Wechsel stattfinden… Unmöglich!

Und, der Anteil an Autisten in den Kindergärten und Schulen und späteren Hochschulen ist ‚gering‘, ist so ein Aufwand dann gerechtfertigt?

Ich bin der Meinung: ja, unbedingt!

Denn, das was uns Autisten zugute kommt, kommt auch anderen zu gute, die ebenfalls benachteiligt sind.

Inklusion, so wie sie hier und heute praktiziert wird, bedeutet im Grunde genommen Exklusion. Jedem, der in den ‚Genuss‘ ebendieser kommt, wird qua erstem Tag vermittelt: Du bist ‚raus‘, Du bist anders, Du bist unfähig. Für die kindliche Psyche ein Desaster!

Well, nach 9 Jahren Beschulung, Lehrermobbing (auch genannt Bossing), Mobbing überhaupt, Anfeindungen, Ausgrenzungen und sogar körperlichen Angriffen, war es unserem Sohn dann genug und er dekompensierte, wie so manche wissen.

Wir hatten unfassbares Glück, trotzdem, denn wie ich mitbekomme, haben andere Eltern mit Kindern in ähnlichen Situationen furchtbares auszuhalten mit Behörden, Ärzten etc.
Unser KJP hatte Verständnis, unterstütze, attestierte, drängelte zwar auch zum Psychiatrieaufenthalt, entschuldigte sich allerdings auch, nachdem das alles doch gepflegt ‚in die Hose gegangen‘ war und fing an die sprichwörtlichen Scherben, die er verursacht hatte zusammen zu fegen = er vermittelte unserem Sohn wie leid ihm dies alles tun würde und begegnete ihm auf Augenhöhe mit selbst für unserem Sohn bemerkbarem Mitgefühl und Verständnis.
Die Sachbearbeiterin im kommunalen Sozialdienst hält uns bis heute den sprichwörtlichen Rücken frei und bewilligte Jugendhilfe nach §35a SGB. Und genau DAS war das, was wir benötigt haben.

Dadurch gibt es zwar momentan keinen Schulabschluss.

ABER: unser selektiv mutistischer Sohn, massiv beeinträchtigt durch Ängste und Phobien, der aus eigenem Impuls nicht mehr das Haus verlässt seit 3 Jahren, hat inzwischen ein so großes Vertrauen zu ’seinem‘ Sop-Päd., oder auch Betreuer, gefasst, dass er mit ihm raus geht. Und das auch nicht nur für 10-30 Minuten.

Und, er leistet inzwischen so schöne Dinge, dass ich seit gestern Tränen in den Augen habe vor Freude.

Er ist mit dem Freund seiner Schwester, den er nicht wirklich gut kennt, bereit gewesen ins hiesige Naturkundemuseum zu fahren. Alleine diese Bereitschaft lässt mich flattern. Tochter war so begeistert, dass sie spontan ebenfalls mitgefahren ist, obwohl sie 8 Stunden Arbeit hinter sich hatte, und natürlich auch, um es ihrem Bruder etwas einfacher zu machen. Sie strahlte jedenfalls über das ganze Gesicht, als sie ihn nach Hause brachte. Denn auch für sie waren die letzten Jahre eine schlimme Zeit.
Und, unser Sohn hat auch an mich gedacht, leicht gepusht von seiner Schwester ‚Mama würde sich über sowas sehr freuen!‘ als er sich Halbedelsteine angesehen hat (ohne Aufforderung, nur als Hinweis hatte sie das gesagt)… und er brachte mir 2 Halbedelsteine selbstständig gekauft mit.

Allein dieses ‚er hat selbstständig den Eintritt bezahlt‘ und ‚er hat diese Steine gekauft‘.. ich könnte heulen vor Freude.

Und? Hat das Inklusion ermöglicht? Oder eine gute Behandlung und Ausbildung in und durch die Schule???

NEIN!

Das haben Menschen ermöglicht, die ihm und uns Zeit geschenkt haben! Und ihm und uns Vertrauen, dass es irgendwann auch wieder anders wird, er nur Zeit benötigt, eine Druck freie Zeit.

Es wird noch lange dauern, dass wir unseren Sohn ‚wiedererkennen‘, aber es wird und er arbeitet hart daran, ganz abgesehen davon unterstützen wir ihn.

Und genau so sollte es sein!

 

*Edit*
Es gab noch mehr Beispiele, dass er nun bereit ist andere Leute an sich heran zu lassen: der Freund meiner Tochter geht ganz unverkrampft mit ihm um und besucht ihn des öfteren in seinem Zimmer, bespricht mit ihm Spiele, bietet auch aus seinem Fundus welche an.. es gibt einen gemeinsamen Nenner.
Dann gab es ein Beispiel, über das ich mich unglaublich gefreut habe: er hat über Monate gespart um sich einen neuen Rechner zu kaufen, aus Einzelteilen zusammen gebaut. Er fragte mich, ob sein älterer Bruder, mein ältester Sohn, ihm wohl helfen würde das alles zusammen zu bauen. Ich fragte ihn, also meinen ältesten, und er war am nächsten Tag hier. Über 3 Stunden haben sie zusammen gehockt, gebaut, gesteckt, installiert, geredet, erklärt, beschrieben und umgesetzt. Zum einem war mein ältester positiv überrascht, zum anderen hat mein jüngster seinen großen Bruder ebenfalls lange nicht an sich heran gelassen und konnte so erkennen, dass auch er ihn inzwischen auf Augenhöhe wahrnimmt.

Werbung

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..